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„Hallo! Wie schön, Sie endlich kennenzulernen!“
„Ganz meinerseits.“
Niemals werde ich die erste Begegnung mit meiner Schwiegermutter vergessen. Mein Freund Robert und ich kannten uns seit einem Jahr und es war klar, dass wir zusammen bleiben würden. Robert hatte meinen Vater schon kennengelernt und ich dachte, langsam wäre es auch für mich an der Zeit, meine zukünftige Schwiegermutter zu treffen.
Robert war Marthas einziger Sohn, sie musste ihn allein durchbringen und entsprechend eng war ihre Beziehung. Umso seltsamer fand ich es, dass Robert immer neue Ausreden erfand, wenn es darum ging, seine Mutter mal zu uns einzuladen oder ihr einen Besuch abzustatten. Irgendwann war es dann aber doch soweit und wir besuchten Martha in ihrer kleinen Wohnung. Meine eigene Mutter war gestorben, als ich noch ein Kind war und ich freute mich darauf, meine Schwiegermutter in spe endlich kennenzulernen. Auf den Fotos, die ich gesehen hatte, lächelte sie freundlich in die Kamera. Rein optisch schien sie eher der gemütliche Typ zu sein, rundlich und sehr sympathisch. Umso mehr überraschte mich das Original. Roberts Mutter hatte mir mit verkniffenem Blick die Hand gegeben und dabei an mir vorbei geschaut.
„Schön haben Sie es hier.“
Mit Mühe und Not versuchte ich, ein Gespräch in Gang zu bringen. Martha rannte ständig zwischen Küche und Wohnzimmer hin und her und bewirtete uns großzügig, aber eine richtige Unterhaltung wollte nicht zustande kommen.
„Danke“, war dann auch die knappe Antwort, die ich auf mein Kompliment bekam. 
„Sie haben offenbar einen grünen Daumen“, versuchte ich es noch einmal und zeigte auf die Zimmerpflanzen.
„Man tut, was man kann.“
Langsam wurde es ungemütlich. War irgendetwas nicht in Ordnung? Ich konnte mir nicht vorstellen, was Roberts Mutter gegen mich haben sollte. Vielleicht hatte sie einfach einen schlechten Tag?

Heute wundere ich mich, wie naiv ich damals war. Roberts Mutter hat mich von Anfang an nicht leiden können, aber damit habe ich damals überhaupt nicht gerechnet. Die Mütter meiner früheren Freunde haben mich immer mit offenen Armen empfangen.
Ganz anders Martha, Robert Mutter. Was ich in den nächsten Wochen auch versuchte, nichts konnte ich ihr recht machen. Mittlerweile war sie nicht mehr still und wortkarg, wie bei unserer ersten Begegnung, sondern sagte ihre Meinung ganz offen. Mal hatte ich in ihren Augen zu viel zugenommen, dann wieder war ich zu mager, mal passten meine neuen Tapeten nicht zum Teppich, mal war mein Essen zu viel gesalzen, dann wieder zu fade.
„Mir reicht es jetzt langsam! Was habe ich deiner Mutter eigentlich getan?“
Eines Abends platzte mir der Kragen. Bisher hatte ich mich immer bemüht, Marthas Kritik zu ignorieren. Sie hatte sicher viel geopfert, um ihrem Sohn ein gutes Zuhause zu bieten. Aber was konnte ich dafür? Ich hatte es mittlerweile so satt! Inzwischen wappnete ich mich schon jedes Mal, wenn sich ein Besuch nicht vermeiden ließ. Aber da die dicke Luft ja irgendwohin musste, hatten Robert und ich hinterher regelmäßig Zoff.
„Versteh sie doch, sie hatte es eben schwer! Kannst du da nicht drüber stehen?“.
Meistens ergab dann ein Wort das andere und am Ende waren wir beide sauer. Natürlich verstand ich, dass Robert seiner Mutter nicht in den Rücken fallen wollte, aber aus meiner Sicht war sie einfach eine verbitterte alte Frau und noch dazu eifersüchtig.
„Ich weiß, dass sie sich manchmal unglücklich ausdrückt. Aber sie meint es nicht böse!“
Na ja, wir würden sehen.

Aber auch nach einiger Zeit wurde es nicht besser. Robert und ich hatten mittlerweile geheiratet und natürlich war Martha nicht begeistert.
„Ihr seid doch noch viel zu jung zum Heiraten“, war ihr Einwand gewesen.
Aber Robert und ich hatten uns nichts dreinreden lassen und als ich kurz darauf schwanger wurde, war ich mit meinen Gedanken sowieso in meiner eigenen Welt. Deshalb war ich auch erstaunt, als mein Mann eines Abends einen ziemlich eigenartigen Vorschlag machte.
„Was würdest du davon halten, wenn wir das Kind Martha nennen?“
„Ist das ein Scherz? Wie kommst du denn darauf?“ Entgeistert schaute ich Robert an.
„Ach, komm. Mama würde sich bestimmt freuen.“
Ich hatte schon eine unfreundliche Antwort auf den Lippen, als ich mich gerade noch zurückhalten konnte. Roberts Mutter war zwar ein schwieriger Mensch und wir würden sicher niemals Freundinnen werden, aber immerhin würde sie bald Großmutter sein.
„Martha ist doch ein recht altmodischer Name, findest du nicht? Aber wenn du willst, können wir ihn als zweiten Vornamen nehmen. Sofern es ein Mädchen wird!“
Ab dem Zeitpunkt hätte ich fast auf einen Jungen gehofft, aber im Grunde war ich viel zu glücklich, um mich mit negativen Gedanken zu plagen. Irgendwie würde schon alles gut werden, ich wollte meinem Kind auf keinen Fall seine einzige Großmutter nehmen.
Und zu meinem Erstaunen ließ Martha mich während der Schwangerschaft tatsächlich in Ruhe. Zwar schäumte sie nicht gerade über vor Freundlichkeit, aber immerhin verschonte sie mich mit kratzbürstigen Bemerkungen. Deshalb war ich schließlich auch bereit, bei der Wahl des Vornamens nachzugeben.
„Wenn wir eine Tochter bekommen, nennen wir sie Charlotte. Charlotte Martha, wir dachten, das würde dich freuen.“ Freundlich schaute ich meine Schwiegermutter an.
„Martha ist ein altmodischer Name. Das kannst du dir sparen.“
Einen Moment lang schwieg ich verblüfft. Dann erst begriff ich, dass Martha offenbar dachte, ich hätte ihren Vornamen vorgeschlagen, um mich bei ihr einzuschleimen.
„Ja, das finde ich auch. Es war Roberts Idee, aber ich bin froh, dass wir uns einig sind.“
In dem Moment war ich richtig stolz auf meine Schlagfertigkeit. Damit war das Thema dann ja wohl vom Tisch. 
Ab dem Zeitpunkt sah ich die Beziehung zu Roberts Mutter entspannter. Vielleicht war ich bisher einfach zu nachgiebig gewesen? War Martha einer der Menschen, denen man ab und zu auch mal Kontra geben musste? Dafür war ich eigentlich nicht der Typ, ich war schon immer ziemlich harmoniebedürftig.
Aber vielleicht musste ich mir bei Roberts Mutter ja eine andere Strategie zulegen.

Als schließlich unser Sohn geboren wurde, änderte sich alles. Natürlich hatte ich schon gehört, dass die Geburt eines Kindes alles auf den Kopf stellt, aber nichts hatte mich auf das vorbereitet, was nun vor mir lag. Jakob schlief keine Nacht durch und meine Nerven lagen blank. Robert war ins Gästezimmer übersiedelt, er musste früh aufstehen und war beruflich oft auf Reisen.
„Vielleicht wäre es gut, wenn meine Mutter ab und zu mal einspringen würde?“
Widerwillig stimmte ich Roberts Vorschlag zu. Ich hatte keine Kraft für Diskussionen.
Und so dauerte es leider nicht lange, bis meine Schwiegermutter das Regiment übernahm. Eigentlich war das überhaupt nicht geplant, ich hatte gedacht, sie würde vorbeikommen, um mit Jakob zu spielen oder mit ihm spazieren zu fahren. Martha verstand unter „Hilfe“ allerdings etwas völlig anderes. Bald war kein Bereich unseres Lebens vor ihr sicher. Meine Schwiegermutter bügelte ungefragt unsere Wäsche und suchte neue Vorhänge für das Kinderzimmer aus. Sie bestimmte, wie lange der Kleine schlafen sollte und was das richtige Spielzeug war. Bald schon musste ich fast dankbar sein, wenn sie abends endlich aus unserer Wohnung verschwand. Natürlich nur, um am nächsten Tag gleich wieder auf der Matte zu stehen! Wobei sie nicht wirklich „vor der Türe“ stand, sondern einfach aufsperrte. Eigentlich hatte Robert ihr den Schlüssel nur für Notfälle anvertraut, aber Martha kam und ging, wie es ihr passte. Natürlich hatten wir deshalb einen Riesenkrach.
„Sei doch froh, dass sie dir so viel abnimmt!“
Mein Mann sah mich verständnislos an, als ich mich lautstark bei ihm beschwerte.
„Sie nimmt mir nichts ab! Sie entmündigt mich!“
Konnte oder wollte er nicht verstehen, dass seine Mutter bei uns zu Hause inzwischen der Boss war? Aber Robert hielt sich wie immer aus der Sache raus und langsam hatte ich das Gefühl, eigentlich mit meiner Schwiegermutter verheiratet zu sein.

Der Anfang vom Ende kam dann, als Jakob eines Tages krank wurde. Der Kleine hatte sich eine Erkältung eingefangen und der Kinderarzt beruhigte mich. Ich sollte mir keine Sorgen machen, in ein paar Tagen wäre alles wieder in Ordnung. Meine Schwiegermutter sah das allerdings anders. Voller Überzeugung erklärte sie mir, dass sie ab sofort Jakobs Pflege übernehmen würde. Und zwar bei sich zu Hause.
„Robert war auch oft krank. Und du kennst dich ja doch nicht aus.“
Sprachlos starrte ich sie an.
Ich weiß nicht, wie die Situation am Ende ausgegangen wäre, wenn nicht plötzlich Robert in der Türe gestanden wäre.
„Mama, ich glaube, du gehst jetzt besser.“
Verblüfft schaute Martha ihren Sohn an. Doch bevor sie noch etwas erwidern konnte, legte Robert seiner Mutter bestimmt den Arm um die Schultern und führte sie hinaus. Allerdings nicht, ohne ihr vorher noch den Schlüssel abzunehmen.

Nach diesem Abend haben wir lange nichts mehr von Martha gehört. Irgendwann hat sich die Lage etwas entspannt und mittlerweile besucht Robert seine Mutter wieder ab und zu. Ihr Verhältnis hat sich verändert und auch ich halte mich so gut wie möglich von Martha fern. Das ist speziell zu Weihnachten oder an Geburtstagen eine echte Herausforderung, sie hat sich Dinge heraus genommen, die einfach zu viel waren. Trotzdem bin ich nicht sicher, ob Martha versteht, warum Robert sich letztendlich hinter mich und unser Kind gestellt hat. Ich bin froh, dass er im entscheidenden Moment Position bezogen hat. Ich glaube nicht, dass unsere Ehe andernfalls auf Dauer eine Chance gehabt hätte.

* Die Personen und die Handlung dieser Geschichte sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig. Spezielle Schreibweisen (Fachbegriffe, Gender-Bezeichnungen usw.) wurden in der von der Autorin übermittelten Form übernommen.

Zur Themen-Seite: Familie (und Stief-Familie)

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